Das Antikorruptionsteam der Kindernothilfe
Seit 2019 gibt es in der Kindernothilfe-Geschäftsstelle ein Antikorruptionsteam. Redakteurin Gunhild Aiyub sprach mit den zuständigen Mitarbeitenden David Kowertz, Viktoria Murg und Clara Soto-Franco sowie mit Guido Oßwald, dem Leiter unserer Finanzabteilung, über Aufgaben und Maßnahmen.
Herr Oßwald, die Kindernothilfe ist ja auch schon vor 2019 gegen Korruption vorgegangen. Warum ein eigenes Team? Haben die Vorfälle zugenommen?
In der Tat wurden auch in der Vergangenheit Verdachtsfälle von Korruption geprüft und Korruption geahndet. 2008 haben wir aufgrund unserer Erfahrungen Richtlinien in einem Anti-Korruptionskodex festgelegt, der fortlaufend weiterentwickelt wurde. Die Verdachtsfälle und die Herausforderungen, die eine Nachverfolgung mit sich bringen, werden aber immer komplexer. Deshalb haben wir 2019 eine umfassende Integritäts- und Antikorruptions-Policy und ein zuständiges Team aufgestellt. Dabei geht es nicht nur um ein professionelles Fallmanagement und Überprüfung der Sachverhalte, sondern auch um den Schutz der Hinweisgebenden sowie um eine Entlastung der Personen, denen ein Verdachtsfall gemeldet wird.
Die Zahl der Meldungen ist bisher nicht gestiegen. Wir gehen aber davon aus, dass die von uns angestrebte Sensibilisierung für Korruptionsprävention und -bekämpfung sowie Hinweisgeberschutz und Aufbau von Hinweisgebersystemen dazu führen kann, dass sie steigt.
Interview mit dem Antikorruptionsteam
Herr Kowertz, wer einen Korruptionsverdacht hat – in der Inlands- oder Auslandsarbeit –, kann sich an eine Ombudsperson wenden. Wie wird man Ombudsperson? Und welche Aufgaben sind damit verbunden? Kann man sich auch an das Team wenden?
Die Ombudsperson wird durch unseren Verwaltungsrat bestellt. Sie sollte nach Möglichkeit Berufsgeheimnisträger, also zum Beispiel Rechtsanwalt, sein, und hat drei zentrale Aufgaben:
- Sie bearbeitet die an sie herangetragenen Meldungen,
- sie wahrt die Anonymität der Hinweisgeber und schützt sie dadurch,
- sie spricht Empfehlungen aus, wenn sie Möglichkeiten sieht, Korruptionsrisiken zu reduzieren.
Wir haben bewusst zwei formale Kontaktmöglichkeiten für Hinweisgeber geschaffen: die externe Ombudsperson und das interne Antikorruptionsteam. Mir ist aber wichtig zu betonen, dass man sich mit einem Korruptionsverdacht an jeden Mitarbeitenden der Kindernothilfe wenden kann. Für Hinweisgeber ist Vertrauen ganz entscheidend. Sie können deshalb selbst entscheiden, mit wem sie sprechen möchten. Ombudsperson oder Antikorruptionsteam unterstützen dann die Bearbeitung der gemeldeten Fälle.
Sie warten ja nicht ab, ob irgendwann Beschwerden bei der Ombudsperson eingehen, sondern überprüfen die Arbeit auch selbst. Wie?
Auf unterschiedliche Art und Weise. Zu unserem Alltagsgeschäft gehört zum Beispiel das Monitoring der Arbeit unserer Partner, also die kontinuierliche, systematische Beobachtung und Erfassung des Programmfortschritts. Wir besuchen die Projekte und bemühen uns, die Perspektive der Kinder und ihrer Familien zu verstehen. Das ist nicht nur für den programmatischen Erfolg der Projekte entscheidend, sondern auch wichtig für das Erkennen von Korruptionsrisiken.
Natürlich findet auch mindestens einmal jährlich eine Finanzprüfung statt. Die Prüfungsberichte zeigen unseren Partnern und uns dabei auch Bereiche auf, in denen wir uns im Sinne einer Korruptionsprävention weiterentwickeln können.
Schließlich pflegen wir mit unseren Partnern auch einen fortlaufenden Dialog über unsere gemeinsamen Lernerfahrungen, zum Beispiel nach Evaluierungen. Dieser konstruktive Dialog ist eine wichtige Grundlage für Vertrauen und die Basis, auf der Hinweisgeber sich an uns wenden.
Was passiert, wenn jemand einen Korruptionsverdacht meldet?
Frau Murg, 2023 wurden acht Verdachtsfälle gemeldet. Wie sind Sie vorgegangen, und was ist das Ergebnis?
Wenn uns ein Fall gemeldet wird, stellen wir als erstes ein Fallmanagement-Team zusammen. Die Zusammensetzung regelt unsere Integritäts- und Antikorruptions-Policy. Das Team bestimmt, welche Maßnahmen ergriffen werden, wann ausreichend Informationen zur Aufklärung eines Falles gesammelt wurden und wann die Prüfung eingestellt wird. Unser Antikorruptionsteam koordiniert das Fallmanagement und dokumentiert es. Wir unterstützen es auch fachlich, sorgen dafür, dass es nach unseren Standards abläuft und bringen Lernerfahrungen aus früheren Fällen sowie den Blick auf den aktuellen Fachstandard der Korruptionsbekämpfung mit ein.
Im Jahr 2023 hat das Antikorruptionsteam acht neue Fälle bearbeitet:
- In fünf Fällen konnten wir korrupte Handlungen nachweisen: Bei dreien haben wir die Zusammenarbeit mit der Partnerorganisation eingestellt, bei den beiden anderen Maßnahmen zur Organisationentwicklung beschlossen und umgesetzt.
- In einem Fall hat sich der Anfangsverdacht nicht erhärtet. Wir haben mit der Partnerorganisation Maßnahmen zur Verbesserung der Finanzprozesse und zur Identifizierung und Reduktion der eigenen Korruptionsrisiken durchgeführt.
- Zwei Fälle befinden sich noch in der Bearbeitung.
Entscheidend für die Konsequenzen, die wir aus Fällen ziehen, ist dabei zum einen, ob korrupte Handlungen auf der operativen oder auf der Führungseben verortet werden. Ist letzteres der Fall, führt dies oft zur Beendigung der Zusammenarbeit. Ist hingegen die operative Ebene betroffen und reagiert die Führung angemessen, besteht meist noch die Chance, partnerschaftliche Lösungen zu finden.
Nachdem die Arbeit unseres Teams in der Vergangenheit stark auf die Bearbeitung von Fällen fokussiert war, haben wir den Fokus im Jahr 2023 deutlich ausgeweitet. Wir haben ein Konzept entwickelt, das es Länderteams ermöglicht, das Thema in ihre eigene Jahresplanung zu integrieren. Dazu gibt es jetzt ein Trainingsmodul, mit dem Partner, aber auch Teams der Kindernothilfe befähigt werden, ihre Korruptionsrisiken zu analysieren und zu reduzieren. Zudem haben wir mit der Entwicklung niederschwelliger Angebote begonnen, die es Teams ermöglichen, sich ohne größeren Ressourcenaufwand mit dem Thema zu beschäftigen und es so präsent zu halten.
Schließlich haben wir alle Länderteams konsultiert, um zu erfahren, welche Aspekte der Korruptionsbekämpfung in ihren Bereichen besonders relevant erscheinen. Prominent wurden dabei die Themen Risikoanalysen im Partnerfeld und die Stärkung der Finanzadministration der Partner genannt. Die Ergebnisse dieser Konsultation bilden nun die Grundlage unserer Planung für das Jahr 2024.
Korruption erkennen und vorbeugen
Frau Soto-Franco, wie stellen Sie sicher, dass die Mitarbeitenden in den Projekten und Partnerorganisationen Korruption erkennen und vor allem auch vorbeugen können?
- Erstens fördern wir eine Sensibilisierung für das Thema – z. B. durch Workshops. Das Konzept dazu haben wir mit Anti-Korruptions-Expertin Dr. Marie-Carin von Gumppenberg erarbeitet. Ende 2019 haben wir in Afrika damit angefangen.
- Zweitens machen wir die Meldekanäle der Kindernothilfe - das Antikorruptionsteam und die Ombudsperson – weiter bekannt. Jeder Mitarbeitende einer Partnerorganisation kann uns kontaktieren und Korruptionshandlungen von Kollegen oder Vorgesetzen melden.
- Drittens erwarten wir von jedem Partner eine Antikorruptions-Policy. Sie kann auch in Form eines Verhaltenskodex erfolgen. Dies ist ein erster Indikator, der die Initiative des Partners in der Korruptionsbekämpfung zeigt.
- Viertens unterstützen wir unsere Partner dabei, ihre internen Kontrollsysteme ständig zu verbessern. Gute Checks und Balances-Systeme verringern den Spielraum potenziell korrupten Verhaltens.