Flucht aus Honduras – Karla wird es wieder versuchen
Text: Katharina Nickoleit, Fotos: Christian Nusch
In den Slums von San Pedro Sula ist das Leben aussichtslos. Wer hier lebt, möchte so schnell wie möglich weg. Die Mitarbeitenden des Kindernothilfepartners CASM kümmern sich darum, dass zumindest Mädchen und Jungen bessere Zukunftschancen bekommen und ihre Rechte respektiert werden – als Einzige. Schutz vor Gewalt und Förderung von Kindern, wie etwa hier in den Armenvierteln, sind in den vergangenen Jahren wichtige Schwerpunkte der Kindernothilfe-Arbeit in Mittelamerika geworden.
Alles, was Maria und ihre zwei Söhne in ihrer kleinen baufälligen Hütte an Gegenständen haben, stammt vom Müll. Das vor Dreck starrende Sofa, die zerfledderten Decken, die verbeulten Töpfe. „Der Staat hat uns vergessen“, meint sie „Wir sind für ihn genauso Abfall wie das, was wir sammeln, um zu überleben.“ Wie alle Bewohnerinnen und Bewohner der Bordos, Armenvierteln am Flussufer, steht die Familie auf der untersten Stufe der honduranischen Gesellschaft. Die meisten kamen auf der Suche nach Arbeit vom Land in die zweitgrößte Stadt von Honduras. Aber ihr Traum von einem besseren Leben endet hier in den Hütten am Rande des stinkenden Flusses, der San Pedro Sula als Abwasserkanal dient. In der Regenzeit tritt er regelmäßig über die Ufer und überschwemmt alles. „Es fehlt hier an allem. Es gibt hier kein Trinkwasser, keine Abwasserentsorgung, keine Schule.“
41 Morde in San Pedro Sula pro 100.000 Einwohnerinnen und Einwohner
Doch es reicht auch, sich die bekannten Zahlen vor Augen zu führen. San Pedro Sula ist eine der gefährlichsten Städte der Welt. Auf 100.000 Einwohner kamen 2020 rund 41 Morde. Unter den Opfern sind auch Kinder und Jugendliche. Die Morde gehen zum größten Teil auf das Konto der Jugendbanden, die in Drogenhandel und Schutzgelderpressung verwickelt sind und sich gegenseitig bekriegen. Wie lebt man in einer solchen Stadt? „Man darf einfach nie zur falschen Zeit am falschen Ort sein“, sagt Kenia.
Doch samstagsmorgens um zehn, eine Uhrzeit, die die Mitarbeiter von CASM sorgfältig und mit Bedacht ausgewählt haben, wirkt der Slum der Müllsammelnden nicht besonders bedrohlich. Von irgendwo tönt Musik, und Kinder klettern auf den Ballen aus Pappe und Bündeln mit Plastikflaschen herum. Bevor CASM damit begann, sich um die Kinder in den Bordos zu kümmern, war dies ihre einzige Beschäftigung. Während ihre Eltern unterwegs waren, um Geld zu verdienen, waren sie den ganzen Tag sich selbst überlassen.„Die Kinder verachten mich, weil ich aus einem Slum komme“
Aber Rodrigo geht nicht besonders gerne hin. „Die anderen Kinder verachten mich, weil ich aus dem Slum komme.“ Lieber besucht er das kleine Zentrum für Kinder und Jugendliche, das CASM hier betreibt. Maria ist unendlich froh, dass es das gibt. „Dort haben die Kinder einen Platz, an dem sie etwas Schönes erleben können, wo man freundlich ist.“ Sie bricht ab, überlegt, wie sie das Thema Gewalt und Kriminalität anschneiden soll, ohne zu viel zu sagen, und meint dann: „Und sie lernen dort, wie man gut zusammenlebt.“
Karla wird sich wieder auf den gefährlichen Weg machen
Maria hat die Hoffnung, im Norden ein besseres Leben zu finden, aufgegeben. Vor zwei Jahren unternahm sie einen verzweifelten Versuch, der Armut und der Gewalt ihres alkoholkranken Mannes zu entfliehen, und macht sich auf den Weg in die USA. „Ich nahm meine Söhne und schloss mich einer Karawane von Migranten an. Aber wir wurden schon in Mexiko aufhalten und abgeschoben. Die Reise ist teuer und gefährlich. Nochmal versuche ich es nicht. Wir müssen es irgendwie schaffen, hier ein Auskommen zu finden.“