"Malawi hat meine Welt verändert"
Herr Rudolph, Sie hatten bereits mit 32 Jahren einen Herzinfarkt. Hat das Ihr Leben verändert?
Der Herzinfarkt war ein Schuss vor den Bug. Und ich hatte danach den Eindruck, ich muss jetzt mein Leben verändern, ich muss lernen wahrzunehmen, dass es um mich herum auch noch eine andere Welt gibt. Damals bin ich zum Beispiel Pate bei der Kindernothilfe geworden.
Pate, weil Sie auch außerhalb Ihres Tellerrandes etwas bewirken wollten?
Ja, ich habe in meinem Leben immer gern Dinge in Bewegung gesetzt – auch während meines Berufslebens. Und als Pate habe ich die Möglichkeit, etwas zu bewirken. Ich kann dazu beitragen, dass ein Kind zur Schule geht und dank dieser Bildung später sein Leben selbst in die Hand nehmen kann.
Dass Menschen Bildung vermittelt bekommen, spielte immer eine große Rolle in Ihrem Leben, oder?
Stimmt, allerdings ging es in meinem Berufsleben meist um Erwachsene. Nach meiner Ordination habe ich in der Erwachsenenbildung der westfälischen Landeskirche gearbeitet. Ab 1985 habe ich das Evangelischen Erwachsenenbildungswerk Nordrhein geleitet, 1998 wechselte ich mit diesem Aufgabengebiet ins Landeskirchenamt.
Sind Sie nicht auch der Begründer der „Laien-Uni“ in Düsseldorf?
Ja, ich wollte ein Theologiestudium für alle, ohne Zugangsbedingungen, ohne Abschlussprüfung, aber mit Hochschuldozenten. Was als zeitlich begrenztes Angebot gedacht war, wird in diesem Jahr 20 Jahre alt. Den großen Erfolg verdanke ich meinem Freund Jens W. Taeger – er hat sich übrigens auch sehr für die Kindernothilfe engagiert, war lange Zeit Pate und hat der Kindernothilfe einen nicht unerheblichen Betrag vererbt. Er war hier in Münster Ordinarius für Neues Testament und hat mir die Wege in die Uni und zum Lehrkörper geöffnet.
Sein früher Tod war ein weiterer Schicksalsschlag in Ihrem Leben…
Jens ist 2004 gestorben. Er war erst 59 Jahre alt, sein Tod war ein Schock. Wir waren 33 Jahre befreundet gewesen. Damals wurde mir klar: Ich kann nicht länger sagen: Mit 70 oder 80 Jahren mache ich mein Testament, der Tod kann uns täglich treffen. Das hat mich dazu gebracht, meinen Nachlass jetzt zu regeln, im Vollbewusstsein meiner Kräfte.
Und da hatten Sie die Idee mit der Stiftung. Was wollten Sie mit ihr bezwecken?
Im Gedenken an Jens habe ich die „Klaus Rudolph und Jens W. Taeger-Stiftung“ gegründet. Dieser Name soll unser gemeinsames Denken, unser gemeinsames Kämpfen um theologische Aussagen und unsere Verbundenheit zeigen. Mit der Stiftung wollte ich über meinen Tod hinaus Dinge bewegen. Sie ist zurzeit noch mit einem geringen Kapital ausgestattet, aber das wird sich mit meinem Tode ändern.
Für welches Projekt haben Sie sich beim Stiftungszweck entschieden?
Ich wollte etwas tun für Menschen, die unverschuldet in Not geraten waren. Jens und ich haben immer gesagt: Wir haben ungeheuer viel Glück in unserem Leben gehabt, wir haben nie existenziell Not leiden, nie Angst um unseren Arbeitsplatz haben müssen. Und wir waren beide der Meinung: Dafür können wir nur unendlich dankbar sein und müssen auch etwas zurückgeben. Zunächst hatte ich an eine Stiftung zugunsten von Menschen in Deutschland gedacht. Dann fand ich im Kindernothilfe-Magazin den Hinweis, dass man Treuhandstiftungen in der Trägerschaft der Kindernothilfe gründen konnte. Das Hilfswerk selbst würde sich um alle rechtlichen Fragen kümmern und auch die Verwaltung der Stiftung übernehmen – und da hab ich gesagt: Das ist es! Dadurch rückten als Stiftungszweck jetzt Kinder in südlichen Ländern in den Fokus, und schließlich habe ich mich für die Förderung von Aidswaisen in Malawi, einem der ärmsten Länder der Welt, entschieden. 2009 war alles in trockenen Tüchern, es gab eine Stiftungssatzung und ein Beirat hatte seine Arbeit aufgenommen, in den ich drei meiner engsten Freunde eingesetzt hatte. Wir treffen uns einmal im Jahr und überlegen, wie wir weitere Spenden für das Projekt akquirieren können.
2012 haben Sie Ihr Stiftungsprojekt zum ersten Mal besucht. Was hat Sie in Malawi besonders berührt?
Zusammen mit meinem stellvertretenden Stiftungsbeirat habe ich neun der 33 Dörfer, die zum Projekt gehören, besucht, und wir beide waren zutiefst überzeugt von dem, was wir gesehen haben. Das Projekt trägt den Namen „Education is a treasure“ – „Bildung ist ein Schatz“ – und diese Aussage trifft es genau, das kann ich aus meiner langen Beschäftigung mit Bildung bestätigen. Zwei Begegnungen auf dieser Reise wirken immer noch nach: Zwei Jungen, der Vater tot, die Mutter sehr arm, zeigten uns ihre Hütte. Das Grasdach war undicht, die Ausstattung spärlich, satt zu essen bekamen die Jungen nur einmal am Tag und nur während der Schulzeit. Mir war in diesem Moment klar: In diesen zwei Jungen begegnet mir Jesus! Er hat gesagt: Was ihr getan habt einem meiner geringsten Brüder, das habt ihr mir getan. Und diese Begegnung mit den Jungen war die direkte Aufforderung: Du kannst, du musst, du wirst etwas verändern. Ich hatte meinen Herzinfarkt und den Tod meines Freundes nicht verhindern können. Doch hier konnte ich eingreifen und helfen. Mit der Kindernothilfe und ihrem Partner Word Alive haben wir an Ort und Stelle mögliche Hilfsmaßnahmen geklärt, die auch umgesetzt wurden.
Und die zweite Begegnung?
Sie betrifft die Frauen-Selbsthilfegruppen. Ihr Konzept ist einfach, aber phänomenal in seiner Wirkung: Menschen werden motiviert, in Bewegung gebracht, ihr Selbstbewusstsein wird gestärkt. Ich habe in Deutschland nur wenige Kreise kennengelernt, in denen Frauen so selbstbewusst waren wie in diesen Selbsthilfegruppen. Es ist unglaublich, Frauen, die vorher nichts zu sagen hatten, leiteten Sitzungen, vertraten ohne Scheu ihre Meinung, setzten sich gegen die Männer durch.
Was sind Ihre Pläne für die Zukunft?
Die Reisen nach Malawi haben sehr viel bei mir verändert. Ich bin jetzt innerlich sehr engagiert und suche äußerlich nach Möglichkeiten, diesem Engagement in irgendeiner Form Gestalt zu verleihen. Ich besuche beispielsweise Gemeindegruppen und berichte von meiner Reise – immer mit dabei: ein Sparschwein, auf dem in schwarzen Buchstaben „Malawi“ prangt. Alle Menschen in meiner Umgebung wissen, ich möchte keine Geschenke, weder zum Geburtstag, noch zu Weihnachten. Meine Schränke sind übervoll, so schön die Wohnung ist, es ist null Platz, noch irgendwo etwas hinzustellen, Bücher habe ich auch genug. Wenn man den Spendenzweck plausibel macht, dann greifen manche Leute auch etwas tiefer in die Tasche, als sie das bei einem normalen Geschenk tun würden. Es gibt weiterhin viel zu tun in Malawi. Ich möchte mit meiner Stiftung dazu beitragen, dass es getan werden kann, und ich freue mich darauf, vor Ort mit eigenen Augen sehen zu können, was alles erreicht wurde.