"Es muss um die Menschen gehen"
Herr Weerth, wie sind Sie zur Kindernothilfe gekommen?
Durch Norbert Blüm. Bei unseren Begegnungen hat er oft von den Projekten der Kindernothilfe erzählt, die er selbst besucht hat. Er hat immer betont, wie nachhaltig und transparent die Organisation arbeitet und dass er sich der Kindernothilfe deswegen über seinen Posten als Stiftungsratsvorsitzender hinaus verbunden fühlt. Schließlich hat er mich gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, mich ebenfalls für die Kindernothilfe zu engagieren. Das Angebot habe ich gerne angenommen.
Wie haben Sie Herrn Blüm kennengelernt?
Ich habe Norbert Blüm bei den Reisen von Bundeskanzler Helmut Kohl erlebt. Bis heute verbindet uns auch eine menschliche Ebene. Darüber freue ich mich sehr, denn es ist eher selten, dass man als Beamter persönlichen Kontakt zu einem hochrangigen Politiker bekommt.
Jetzt sind Sie also Botschafter der Kindernothilfe. Wie möchten Sie Ihre neue Aufgabe gestalten?
Mit mehr als meiner Teilnahme in den Stiftungsratssitzungen. Ich sehe mich als Vermittler zwischen der Kindernothilfe und Menschen oder Unternehmen, die sich gerne für Kinder in Not engagieren möchten, aber noch nicht die richtige Organisation gefunden haben. Ich bin gut vernetzt und möchte versuchen, die eine oder andere Tür für die Kindernothilfe zu öffnen. Vielleicht kann ich die Kindernothilfe auch mit meinem Wissen über Afrika unterstützen. Es ist schließlich seit über vierzig Jahren meine zweite Heimat.
Das heißt, Sie waren schon vor Ihrer politischen Tätigkeit dort?
Ich habe Anfang der Siebzigerjahre als Pilot in Tansania gearbeitet. Das war eine aufregende Zeit. Seitdem zieht mich der Kontinent immer wieder magisch an.
Und was hat Sie an Afrika gefesselt?
Ich mag die Menschen einfach, ihre Würde. Mich beeindruckt, wie stolz sie sind und gleichzeitig so menschlich und herzlich im Umgang. Davor habe ich großen Respekt. Denn viele Afrikaner haben mit Problemen zu kämpfen, die für uns Europäer unvorstellbar sind. Im Vergleich ist es manchmal geradezu beschämend, was wir in Europa als ein Problem betrachten.
Haben Sie besondere Begegnungen in Afrika gehabt?
Ja, ich habe viele beeindruckende Menschen kennengelernt, aber zwei Begegnungen haben einen besonderen Platz in meinem Gedächtnis: Weil ich damals akkreditierter Botschafter in Burundi war, hatte ich als Vertreter der Europäischen Union einen Sitz im burundischen Friedenskongress. 1999 wurde Nelson Mandela der neue Vorsitzende des Kongresses. Ich durfte ihn zwei Jahre lang aus nächster Nähe erleben. Eine beeindruckende Erfahrung. Er war eine unglaubliche Persönlichkeit, zutiefst vom Guten im Menschen überzeugt.
Darum beneiden Sie sicher viele. Sie haben eine Legende erlebt. Und was war die zweite Begegnung?
Eine Politikerin, die bei den Parlamentswahlen 2002 in Kenia angetreten ist. Sie wollte unbedingt etwas in ihrem Land bewegen, vor allem für die Frauen und den Umweltschutz. Ich habe sie dabei unterstützt. An den Wochenenden sind wir mit dem VW-Bus der Botschaft übers Land gefahren, um Wähler zu gewinnen. Sie wurde tatsächlich Ministerin. Das war Wangari Maathai, die später als erste afrikanische Frau mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde.
Eigentlich erwartet man von einem Botschafter Neutralität und nicht, dass er in der Politik vor Ort mitmischt.
Vielleicht, aber ich habe meine Aufgabe immer darin gesehen, Position zu beziehen, Flagge zu zeigen. Dass Bonn weit weg war, habe ich immer als Vorteil empfunden. Ich konnte nach meinen Vorstellungen arbeiten, ohne ständig erst auf eine Genehmigung zu warten. Das Beamtenhafte liegt mir nicht so.
Ist es Ihnen mit Ihrer Liebe zu Afrika schwer gefallen, 2004 als Botschafter nach Sri Lanka zu gehen?
Ich musste mich in der Tat umgewöhnen. Die asiatische Kultur erschien mir zunächst unzugänglich, rätselhaft. Als ein halbes Jahr nach meinem Amtsantritt der Tsunami das Land verwüstete, war ich zunächst sehr irritiert: Häuser und die Infrastruktur waren zerstört, die Menschen hatten alles verloren. Trotzdem erschienen sie mir so ruhig, geradezu gleichgültig. Erst später habe ich begriffen, dass es Demut war. Sich dem ergeben zu können, was geschehen ist und sich nicht ändern lässt, ist eine Kunst. Die asiatische Kultur ist uns da weit voraus.
Durch den Auswärtigen Dienst haben Sie Einblicke in die internationale Entwicklungszusammenarbeit bekommen. Wie beurteilen Sie die Arbeit der Hilfsorganisationen?
Das Ziel einer Hilfsorganisation sollte sein, sich selbst überflüssig zu machen. Das heißt, sie sollte einen Missstand so nachhaltig beheben, dass ihre Hilfe langfristig nicht mehr gebraucht wird. Mein Eindruck ist, dass nicht alle Organisationen dieses Ziel konsequent verfolgen. Oft wird keine ausreichende Ursachenforschung betrieben. Auch lokale, kulturelle Zusammenhänge werden schnell übersehen. Für mich muss es immer um die Menschen gehen. Sie müssen miteinbezogen werden.
So wie bei den Selbsthilfe-Projekten der Kindernothilfe? Was halten Sie davon?
„Hilfe zur Selbsthilfe“ habe ich in Afrika gesehen. Ich finde das Konzept großartig! Auch, weil diese Projekte vor allem Frauen helfen. Sie sind Männern gegenüber stark benachteiligt, trotzdem haben sie ein viel größeres Verantwortungsbewusstsein für die Familie. Wenn eine afrikanische Frau einen Kleinstkredit bekommt, dann macht sie etwas daraus. Sie möchte etwas für sich und ihre Familie erreichen.
Worin liegt aus Ihrer Sicht der Erfolg?
Wichtig ist, dass die Frauen in Geschäftsideen investieren, die vor Ort gebraucht werden, und dass es ihre eigenen Ideen sind. Dann startet sozusagen ein Selbstläufer. Die hohen Rückzahlungsquoten für die Kredite von über neunzig Prozent belegen das. Durch den unternehmerischen Erfolg wird die gesellschaftliche Stellung der Frauen gestärkt. Und der Erfolg zeigt sich an den Kindern: Sie können zur Schule gehen, werden besser versorgt, haben genug zu essen und ein Vorbild in ihrer Mutter. Ich denke, das ist nachhaltige Entwicklung.
Das Gespräch führten Julia Dornhöfer und Christine Taylor